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10.02.23 –
Podium:
André Schulze, MdA, Mitglied des PUA
Claudia von Gélieu, Betroffene der Anschlagsserie
Bianca Klose, Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR)
Moderation:
Susanna Kahlefeld, MdA, stellvertretendes Mitglied des PUA
Nach einer Begrüßung und einleitenden Worten von Susanna Kahlefeld, begann Bianca Klose von der MBR mit einer Darstellung des aktuellen Standes im Neukölln-Komplex. Sie zeigte sich von der Verhandlung und dem Urteil gegen Sebastian T: und Tilo P vor dem Amtsgericht Tiergarten enttäuscht, aber nicht überrascht. Bianca Klose machte ihre Enttäuschung darüber deutlich, dass seit 2009 bis zu den Urteilen gegen P. und T. kein einziges Gerichtsverfahren in der Straftatenserie durchgeführt wurde. Aus ihrer Sicht erkannten die Strafverfolgungsbehörden den Seriencharakter der Taten erst viel zu spät und ordneten die Taten auch lange nicht dem „Nationalen Widerstand Berlin“ zu.
Im Anschluss schilderte Sie den Blick der MBR auf den Neukölln-Komplex. Sie verwies auf ihr Gutachten vor dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss und hob hervor, dass es aus Sicht der MBR um mehrere Serien. So sieht die MBR in Neukölln im Zeitraum 2009-2015 eine Serie mit 102 Taten, der ab 2016 eine zweite Serie mit etwa 50 Taten folgte. Der Modus Operandi war dabei stets der Gleiche: Die Taten geschahen nachts, mit geringem personellen Aufwand, mit geringem Entdeckungsrisiko.
Bianca Klose sprach auch die bei Tatverdächtigen gefundenen Feindeslisten mit teilweise über 500 Namen an und kritisierte den Umgang der Polizei damit. Sie forderte den Untersuchungsausschuss dazu auf, sich das Thema Feindeslisten ganz genau anzuschauen, weil das auch im gerade zuende gegangenen Gerichtsprozess keine Rolle gespielt hat.
Betroffenen eine Stimme geben
André Schulze sprach im Anschluss über den aktuellen Stand der Arbeit des Untersuchungsausschusses gestellt und stellte kurz den Einsetzungsbeschluss dar.
In den bisherigen Befragungsblocks seien zu Beginn acht Betroffene der Anschlagsserie befragt worden. Dies ein immens wichtiger Auftakt gewesen, um die Perspektive und Expertise der Betroffenen in den Ausschuss zu holen. Es sei auch zu beobachten gewesen, dass jene Ausschussmitglieder, die sich bisher nicht so intensiv mit dem Neukölln-Komplex beschäftig hätten, durch die eindrücklichen Schilderungen der Betroffenen die Problematik verstanden haben.
Im zweiten Befragungsblock sagten Sachverständige vor dem Ausschuss aus. Dabei hob André Schulze hervor, dass dadurch insbesondere Erkenntnisse zur Vernetzung rechtsextremer Personen und Strukturen in Neukölln und ganz Berlin gewonnen werden konnten. Außerdem sei der Modus Operandi der Täter*innen und vergleichbare Taten in ganz Berlin in den Fokus gerückt.
Im Anschluss berichtete André Schulze zur Problematik der ausbleibenden Aktenlieferungen. Die überwiegende Mehrheit der Beweisbeschlüsse zur Aktenlieferung wurde bereits im Juni und Juli 2022 gefasst. Doch bis heute liegen nur kleine Ausschnitte der benötigten Akten vor. Dabei beschrieb den Verfassungsschutz als „überraschenderweise transparenteste Behörde“, die in der vergangenen Woche kontinuierlich die Lieferung von Akten begonnen hat. Er lobte die eingerichtete Arbeitsgruppe aus Mitgliedern des Ausschusses und den beteiligten Senatsverwaltungen als sinnvolles Element um zu verstehen, wo es bei den Aktenlieferungen hakt. Denn dass es da nicht rund läuft, darf auch trotz einzelner Fortschritte nicht verdrängt werden. Der Ausschuss braucht weitere Akten um sinnvoll weiterarbeiten zu können.
Zur Zukunft des Ausschusses berichtete André Schulze vom Bekenntnis der Koalition zur Fortsetzung des PUA. Er wies darauf hin, dass keine Befragung wiederholt werden muss, dass sich die Öffentlichkeit aber auf zeitlichen Verzug einstellen muss, da sich der Ausschuss nach der Wiederholungswahl neu konstituieren muss.
Sicherheitsbehörden im Fokus
Claudia von Gelieu (Link) machte deutlich, dass sich seit 2016 der Fokus der Täter*innen verschoben hat. Betroffene werden jetzt zuhause angegriffen, Autos brennen. Vor 2016 seien eher Institutionen angegriffen worden. Sie lobte den Ausschuss dafür, dass Betroffene zuerst gehört wurden, kritisierte aber die bisher nicht vollständig gegebene Öffentlichkeit des Ausschuss. Auch vermisse sie bisher in den Befragungen die Zielorientierung auf einzelne Themenkomplexe und wünscht sich hier eine Verbesserung für die Befragung der Sicherheitsbehörden.
Sie erwarte vom PUA keine neuen Ermittlungserfolge, aber das Parlament solle seiner Aufgabe zur Kontrolle der Behörden endlich nachkommen. Dabei stehen insbesondere Konsequenzen für Organisation und Struktur der Sicherheitsbehörden im Fokus. Der Verfassungsschutz solle am besten ganz abgeschafft werden. Diese Konsequenzen sollten auch schon vor Abschluss des PUA angegangen werden, damit sie nicht ggf. veränderten politischen Mehrheiten zum Opfer fällt.
Die Zivilgesellschaft stärker einbinden
In der anschließenden Diskussionsrunde wurde u.a. thematisiert welche Erfahrungen aus anderen Bundesländern und Untersuchungsausschüssen mit den Konsequenzen solcher Aussschüsse bestehen. Häufig seien Abschlussberichte versandet und Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden haben sich immer wieder als sehr schwer reformierbar gezeigt.
Für die weitere Arbeit im Ausschuss kündigte André Schulze an, dass die Corona-Regeln im Abgeordnetenhaus nicht mehr bestehen und damit die Öffentlichkeit im Sitzungssaal für die Fortsetzung gewährleistet sein wird. In der nächsten Ausschussphase soll mit der Befragung der Sicherheitsbehörden begonnen werden. Bianca Klose ergänzte, dass es auch weiterhin eine kritische, selbstbewusste Zivilgesellschaft, die die Ausschussarbeit und den weiteren Verlauf des Gerichtsverfahrens begleitet.
Den Veranstaltungsbericht des Facetten-Magazin Neukölln findet ihr hier. Meine Zwischenbilanz zur bisherigen Arbeit des PUA und wie es weitergeht, habe ich hier aufgeschrieben.
Im Podcast #Neukölln-Komplex – Das Update berichten mein Kollege Vasili Franco und ich über die Sitzungen und informieren euch über die aktuellen Entwicklungen. Die aktuelle Folge findet ihr hier.