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07.04.22 –
Am 07.04.2022 wurde die Einrichtung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur Aufklärung der rechtsextremistischen Straftatenserie in Neukölln von den Koaltionsfraktionen beantragt. Ich betone in meiner Rede die Notwendigkeit der Untersuchung von rechtsextremen Netzwerken und möglicher Fehler in den Sicherheitsbehörden. Die aufgezeichnete Rede findest Du hier.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen! Am gestrigen Morgen hat der Generalbundesanwalt eine groß angelegte Razzia gegen führende Mitglieder der Neonaziszene in Deutschland durchführen lassen. Im Zentrum der Durchsuchung standen Personen aus mehreren rechtsextremen Vereinen. Auch Kontakte zum NSU wurden gepflegt. Wieder einmal führt die Spur auch nach Neukölln zu einem rechtsextremen Gefährder. Nur ein weiteres Puzzleteil im Neukölln-Komplex, das uns zeigt: Es braucht dringend diesen parlamentarischen Untersuchungsausschuss, denn hier ist noch längst nicht fertig
ermittelt oder aufgeklärt.
[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN –Beifall von Max Landero Alvarado (SPD)]
Seit mehr als einem Jahrzehnt brennen in Neukölln regelmäßig Autos von Personen, die sich gegen Rechts engagieren. Es werden Feindeslisten veröffentlicht, Fenster eingeschlagen, Stolpersteine geklaut, rechte Graffitis gesprayt und Menschen bedroht. Allein seit 2016 sind es über 70 Straftaten, die von der Polizei zur Serie gezählt werden. Trotz langjähriger Ermittlungen in verschiedenen Ermittlungsgruppen sind praktisch alle Taten seit 2009 unaufgeklärt. Dabei wird über die Tatverdächtigen schon seit Langem öffentlich diskutiert. Es steht immer wieder ein Trio von Neuköllner Nazis im Fokus. Auch bei der Polizei und Staatsanwaltschaft ist dieses Trio gut bekannt. Allein die Aufklärungsbilanz ist niederschmetternd. Es hat bis heute keine Verurteilung oder eine Aufklärung der Taten gegeben. In der Kritik der Betroffenen geht es aber nicht nur um ausbleibende Ermittlungserfolge. Es geht auch um fehlende Empathie und Kommunikation der Polizei, um unterbliebene Warnungen und heruntergespielte Gefährdungssituationen im Vorfeld von Angriffen oder um Nichtberücksichtigung von Hinweisen zu Taten. Hinzu kommt eine ganze Reihe fragwürdiger Vorfälle im Kontext der Ermittlungen, wie Herr Kollege Schrader vorhin schon ausgeführt hat. Daher ist es richtig, dass die Koalition die Forderung nach einem Untersuchungsausschuss mit diesem Antrag heute aufgreift und Verantwortung übernimmt, denn die Betroffenen haben zu Recht die Erwartung, dass wir als Politik alle Möglichkeiten nutzen, um für Aufklärung in der Straftatenserie zu sorgen. Wir schauen nicht weg, sondern beginnen heute mit dieser Arbeit.
[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN –Beifall von Derya Çağlar (SPD) und Raed Saleh (SPD)]
Die Betroffenen und die antifaschistische Zivilgesellschaft haben in den letzten Jahren ihre Stimme erhoben. Sie haben Druck gemacht und die Ermittlungen kritisch begleitet. Sie haben guten Einblick in rechte Vernetzungen und Tathergänge und mit ihrem jahrelangen Engagement überhaupt erst dafür gesorgt, dass wir heute hier stehen und diese Debatte führen. Lassen Sie uns diese Expertise und Perspektive nutzen, sie im Untersuchungsausschuss anhören und ihre Hinweise und Einschätzungen bei unserer Arbeit ernstnehmen.
[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN –Vereinzelter Beifall bei der SPD]
Die Rolle rechtsextremistischer Netzwerke im Neukölln-Komplex stellt für meine Fraktion eine zentrale Frage für die Arbeit des Untersuchungsausschusses dar. Nicht erst seit dem NSU-Prozess wissen wir, dass die rechtsextreme Szene extrem gut vernetzt ist. Die Generation der Tatverdächtigen ist seit den frühen Zweitausenderjahren in der rechtsextremen Szene Neuköllns aktiv, hat sich bei gemeinsamen Aktionen, Demonstrationen und Straftaten in Berlin, aber auch bundesweit vernetzt, wie nicht zuletzt die gestrige Durchsuchung in Rudow zeigt. Daher ist es sehr wahrscheinlich, dass diese Vernetzung auch für die
Aufklärung der Straftatenserie relevant ist, sei es bei der Betrachtung von Tatmustern, der Erstellung und Verbreitung von Feindeslisten oder der Mittäter- und Mitwisserschaft von Personen aus anderen Bezirken und Bundesländern. Zehn Jahre rechter Terror in Neukölln sind nicht das Werk von drei Einzeltätern, sondern das Werk organisierter rechtsextremer Strukturen, und das muss sich auch in der Aufklärungsarbeit widerspiegeln.
[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN –Vereinzelter Beifall bei der SPD]
Der Ausschuss wird nicht die Ermittlungen führen oder gar ersetzen können. Wir können aber vergangene Ermittlungen durchleuchten und analysieren. Welche Fehler wurden begangen, welche Hinweise vernachlässigt, welche Strukturen nicht beachtet? – Das werden wir uns genau anschauen, politisch bewerten und in Handlungsempfehlungen übersetzen. Denn am Ende steht die Frage: Wie müssen wir Polizei, Staatsanwaltschaft und Verfassungsschutz in Berlin zukünftig aufstellen, damit Ermittlungserfolge erzielt werden, Betroffene nicht mehr um ihre Sicherheit bangen müssen und der Ermittlungsdruck auf die rechtsextreme Szene spürbar wächst? Lassen Sie uns die wehrhafte Demokratie mit Leben füllen – in Neukölln und in ganz Berlin. Kein Nazi darf sich beim Begehen von Straftaten sicher fühlen. Lassen Sie uns dafür die kommenden Jahre gemeinsam im Ausschuss unseren Beitrag leisten.
[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN –Vereinzelter Beifall bei der SPD]
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